Wann ist ein Coach ein Coach?

  • Beitrag zuletzt geändert am:20. März 2023
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Vor einigen Tagen bin ich auf ein Video von Jan Böhmermann aufmerksam geworden, in welchem er Coaches aufs Korn nimmt. Dieses Video hat einiges bei mir ausgelöst – viele Fragen, aber auch Wut und Frust. Denn ich bin selber Coach, wenn auch keiner von denen, die “Böhmi” anprangert. Ich bin Emotionscoach, und weiß als solcher, dass es nicht gut ist, wenn ich meine Emotionen unterdrücke. Mit diesem Blogartikel lasse ich meinen Frust daher raus. Achtung: ich bin manchmal ziemlich sarkastisch. Wenn du damit nicht umgehen kannst, solltest du lieber nicht weiterlesen.

Bin ich überhaupt ein richtiger Coach?

Ich verdiene keine 236.000 € im Monat von jetzt auf gleich. Und ich habe auch nicht mal eben 3.000 – 5.000 € passives EInkommen. Oder 3 Mio. € in nur 3 Monaten ohne dafür zu arbeiten. Anscheinend bin ich ein Versager. Ich habe es einfach nicht verstanden, denn sonst würde ich ja auch das große Geld machen – ganz ohne Arbeit.

Nur um von Anfang an etwaige Missverständnisse auszuräumen: es gibt durchaus gute und vertrauenswürdige Coaches, die hohe Einkommen erzielen. Und ich kenne sogar einige davon persönlich. Diese sind jedoch durch jahrelange und harte Arbeit dahin gekommen, wo sie jetzt sind. Unter diesen Coaches habe ich Vorbilder und Mentoren und sie sind mit diesem Artikel ausdrücklich nicht gemeint.

Wer ist überhaupt ein Coach?

Böhmermann meint, jeder der einem anderen etwas erklärt, ist ein Coach. Dies stimmt in meinen Augen nur teilweise. Fakt ist, dass sich jeder theoretisch Coach nennen dürfte, es ist keine geschützte Berufsbezeichnung, für die man bestimmte Voraussetzungen benötigt. Jeder kann von jetzt auf gleich beschliessen, dass er ab sofort Coach ist. Leider machen dies auch immer wieder Personen, die ich persönlich mir nicht in der Rolle vorstellen kann.

Denn was Coaching ist, ist durchaus definiert und ich habe mich damit in meinem Artikel “Was ist Emotionscoaching” auseinandergesetzt. Kurz gesagt ist ein Coach jemand, der andere dabei unterstützt und anleitet, ihre Herausforderungen zu meistern. Der Fokus ist also auf der anderen Person und der Coach sollte neben weiteren Eigenschaften den Wunsch verspüren, Andere zu unterstützen. Dies unterscheidet einen guten Coach von den Möchtegern-Business-Coaches, um die es in diesem Beitrag geht. Diesen letzteren geht es nämlich nur darum, ihre eigenen Taschen zu füllen.

Habe ich das richtige Mindset?

“Millionär ist ein Mindset, ist eine Art zu denken” und “Internet-Coaches denken groß, denken BIG. Und sie stellen sich die richtigen Fragen.”
Ist das mein Problem? Denke ich nicht groß genug? Oder stelle ich mir die falschen Fragen? Am besten buche ich mir direkt ein Mindset-Coaching, vorzugsweise bei einem derjenigen, die wissen, wie es geht. Andererseits, wenn ich mir diese Werbevideos ansehe, die auch mir leider viel zu oft gegegnen, scheint denken dort nicht wirklich angesagt zu sein. Und es ist auch gar nicht erwünscht, dass die Kunden denken. Dann würden diese nämlich merken, dass bei diesen Konzepten irgendetwas nicht stimmen kann.

Und da habe ich direkt einen weiteren Denkfehler meinerseits gefunden. Ich habe tatsächlich geglaubt, ich brauche eine Ausbildung, um als Coach zu arbeiten. Wie dumm von mir – in mehrfacher HInsicht. Denn jetzt habe ich ja Ahnung von dem, was ich mache. Und ich stütze mein Coaching auf neurowissenschaftliche Erkenntnisse. Und nicht einfach nur auf das richtige Mindset.

Das Mindset spielt durchaus eine wichtige Rolle beim Coaching – und zwar auf beiden Seiten. Mindset bedeutet nämlich nichts anderes als die innere Einstellung, die eine Person hat. Sowohl Coach als auch Coachee müssen daher das richtige Mindset haben, um sich auf den jeweils anderen und den Prozess einzulassen. Sonst kann das Coaching nicht oder nicht so gut wirken. Mindset ist jedoch in den letzten Jahren zu einem Modewort verkommen – alles ist jetzt auf einmal Mindset. Ich traue mich manchmal schon gar nicht mehr, den Begriff zu verwenden.

(Wann) Muss ich arbeiten?

An Feiertagen arbeiten – auf diese Idee bin ich als Angestellte logischerweise nicht gekommen. Hätte mir ja auch nichts gebracht. Als Business-Coach muss man das ja anscheinend. Aber halt, war da nicht eben die Rede davon, sehr viel Geld zu bekommen ohne dafür zu arbeiten?
Auf der anderen Seite weiß ich auch, wie wichtig Erholung und Pause ist. Niemand kann ununterbrochen arbeiten. Im Gegenteil, die Konzentrationsdauer eines Erwachsenen liegt bei 90 Minuten, die Konzentrationsspanne bei etwa vier bis sechs Stunden am Tag. Gemäß arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen sollen Arbeitnehmende außerdem nicht mehr als sechs Tage in Folge arbeiten (§ 6 ArbZG). Auch wenn für Selbständige und Unterenehmer solche Regelungen nicht existiern, macht es sicherlich Sinn, sich daran zu orientieren. Macht es also wirklich einen Unterschied, ob ich beispielsweise an Ostern arbeite und dann danach Pause mache oder umgekehrt? Nun ja, als Coach macht es sicherlich Sinn, dann zu arbeiten, wenn meine Kunden Zeit haben. Und das könnte logischerweise auch mal am Sonntag oder Feiertag der Fall sein. Damit ist jedoch nicht gemeint, dass ein Coach an allen Sonn- und Feiertagen arbeiten muss oder sollte. Die Termine sollten immer für beide Seiten passen. Schliesslich möchte ich auch als Coach Zeit mit meiner Familie verbringen.

Fehlt mir einfach das richtige Geschäftsmodell?

Closen, Dropshipping, Affiliate und Network Marketing und andere Geschäftsmodellen – hä, wie bitte? Kann mir das mal jemand übersetzen? Wovon reden die da? Affiliate Marketing habe ich ja schon von gehört. Vermutlich müsste ich diese Geschäftsmodelle kennen, um ein wirklich erfolgreicher und trendiger Business-Coach zu sein. Denn sonst weiß ich am Ende gar nicht, wie ich den Leuten am besten das Geld aus der Tasche ziehe.

Damit möchte ich diese Modelle überhaupt nicht schlecht reden – schliesslich kenne ich sie nicht. Vermutlich geht es vielen Anderen genauso. Ich habe jedoch das Gefühl, dass genau dies die Taktik dahinter ist. Es wird einfach mit Fachbegriffen um sich geworfen, um die Leute zu verwirren und zu beeindrucken. Mich würde mal interessieren, ob Max Weiss, Lukas Lindlar und Co. selber wissen, was das ist. Oder muss man das als erfolgreicher Fake-Coach nur entsprechend überzeugend vortragen.

Sind meine Angebote gar falsch?

110 % Erfolgsgarantie – oh nein, wie konnte ich nur so etwas wichtiges außer acht lassen. Und dann 110 %. Warum nicht gleich 150 oder 200 %? Ich habe meinen Kunden noch nie eine Erfolgsgarantie gegeben. Das kann ich auch gar nicht. Denn als Coach ist es zwar meine Aufgabe, meinen Kunden in die Lage zu versetzen, seine Herausforderungen selber zu lösen. Jedoch steht und fällt alles mit dem Engagement des Coachee. Selbst wenn ich also alles mir mögliche unternehme, um meinen Kunden zu unterstützen, gehen muss er selber.

Aber vielleicht sollte ich meine Kunden einfach mehr pushen? Zieh das durch, mach dein Ding! meint Dirk Kreuter, der sich obendrein Verkaufstrainer Nr. 1 nennt. Leider erklärt er nicht, wie das gehen soll. Und was ich durchziehen soll. Jetzt weiß ich doch gar nicht, bei was ich meine Kunden ziehen soll. Oder meint er etwa nur das Geld aus der Tasche ziehen.

Aber ich habe eine Super-Lösung gefunden, wie ich das herauskriegen kann. Ich schreibe Lukas Lindlar an auf Instagram unter dem Stichwort Mentor. Und lasse mir von ihm erklären, mit welchem Angebot ich 19.500 € in 7 Stunden verdienen kann. Am besten mit Erfolgsgarantie, mindestens 110%. Vermutlich ist das nun wieder mein Mindset Problem, dass bei mir bei solchen Angeboten alle Alarmglocken klingeln.

Habe ich nicht den richtigen Geschäftspartner?

Außerdem arbeite ich auch nicht mit CopeCart zusammen. Dann kann ich natürlich auch nicht seriös und erfolgreich sein, oder? Ok, schaue ich mir meinen potentiellen zukünfitgen Geschäftspartner doch einmal an.

CopeCart ist ein deutsches StartUp der FinTech Szene, ein sogenannter Hidden Champion. Dabei kümmert sich die Firma um die Erstellung von Rechnungen, Übersicht über die Kunden und bietet dabei flexible Abrechnungsmodelle (Abos, Ratenzahlung, …). Geht es nur mir so, dass mich das stutzig macht? Das ein Business-Coach Hilfe bei den alltäglichen Dingen des Business braucht. Haben die Business-Coaches keine Ahnung von Business? Warum habe ich mir damals die ganze Mühe mit meinem Business-Plan gemacht?

Hinterfragen ist anscheinend nicht erwünscht, genauso wenig wie kündigen oder zurücktreten. In Böhmermann’s Video wurde gezeigt, dass man den Vertrag nur abschliessen kann, wenn man auf sein Widerrufsrecht verzichtet. Danke Nein, da möchte ich auch gar nichts mehr hinterfragen. Denn meiner Meinung nach lohnt es sich nicht, an derartige Konzepte auch nur einen Gedanken zu verschwenden. Da ist jede Frage zuviel.

Fragen kommen jedoch an anderer Stelle auf. Wenn ich CopeCart bei Google eingebe und die ersten Ergebnisseiten überspringe, tauchen erstaunlich viele Anwälte auf, die dabei helfen, CopeCart Verträge und Abonnements zu widerrufen oder anzufechten.

Onlinecoaching wird in den Dreck gezogen

Was mir dabei in der Seele wehtut, ist die Tatsache, dass das gesamte Onlinecoaching-Business dadurch einen schlechten Ruf bekommt. So warnt die Arbeiterkammer Oberösterreich vor Online-Coaches und erst weiter unten auf der Seite wird auf die selbsternannten Coaches und ihre Praktiken eingegangen. Und leider ist es auch so, dass die Pseudo-Coaches durch ihre ständigen Werbevideos auf Youtube und Facebook in den Köpfen vieler Menschen sehr viel präsenter sind als die vielen richtigen, ausgebildeten Coaches.

Tatsächlich ist jedoch die Wirksamkeit von Onlinecoaching inzwischen sogar wissenschaftlich belegt. Und Onlinecoaching bietet einige Vorteile wie mehr Flexibilität sowie Zeit- und Kostenersparnis. Eine ausführliche Untersuchung der Vor- und Nachteile von Onlinecoaching habe ich in einem anderen Blogartikel bereits vorgenommen.

Ich möchte verhindern, dass einige schwarze Schafe den Ruf unserer Branche kaputt machen. Dieser Blogartikel soll ein kleiner Beitrag dazu sein und eine Lanze brechen für’s Onlinecoaching.

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